Tinnitus

Diagnostik

Akut/chronisch

  • Akuter Tinnitus: Besteht kürzer als 3 Monate
  • Chronischer Tinnitus: Besteht länger als 12 Monate

Subjektive Ohrgeräusche (99 %)

Vom Ohr ausgehend

  • Schallleitungsstörung: Verlegung des Gehörgangs (Cerumen, Fremdkörper), akute oder chronische Otitis media
  • Schallempfindungsstörung: Intoxikationen, Innenohrkrankheiten, Presbyakusis
  • Sensorisch: M. Menière, Hörsturz
  • Neuronal: Erkrankungen des Hörnerven, Vestibularisschwannom
  • Entzündlich: Zoster oticus, Lyme-Borreliose, HIV
  • Kombinierte Schwerhörigkeit: Otosklerose, Mittelohrentzündungen mit Labyrinthbeteiligung

Metabolisch

  • Schilddrüsenerkrankungen, Hyperlipidämie, Vitamin B12-Mangel

Psychogen

  • Depression, Angststörungen

Neurogen/muskulär/somatosensorisch

  • MS, Schädelhirntrauma, Spasmen des M. tensor tympani bzw. Myoklonien der Gaumenmuskulatur, muskuläre Verspannungen der Nacken- und temporomandibulären Muskulatur

Medikamentös

Tabelle: Substanzen, die einen Tinnitus verursachen oder verstärken können (Auswahl)

Analgetika

Aspirin, NSAR

Antibiotika

Aminoglykoside, Chloramphenicol, Erythromycin, Tetrazykline, Vancomycin

Chemotherapeutika

Bleomycin, Cisplatin, Mechlorethamine, Methotrexat, Vincristin

Schleifendiuretika

Bumetanid, Furosemid

Antidepressiva

Sertalin, Sibutramin, trizyklische Antidepressiva

Antimalariamittel

Chloroquin

 Objektivierbare Ohrgeräusche (selten)

  • Meist pulssynchroner Tinnitus (bei funktionierendem Hörorgan), verursacht durch arteriovenöse Gefässmissbildungen oder vaskulären Tumor
  • Charakter des Ohrgeräusches
  • Pulsatil – nicht pulsatil?
  • Klicken: Ist meist physiologischer Genese (Myoklonie)
  • Rauschen: Häufig bei M. Menière
  • Hochfrequenter Ton: Häufiger assoziiert mit Erkrankungen des Innenohrs
  • Tieffrequenter Ton: Häufiger bei Erkrankungen des Mittelohres
  • Dauer und Begleitumstände (Stress, Geräuschexposition), Leidensdruck
  • Otologische Symptome: Schmerz, Hörverlust, Druckgefühl, Schwindel, sinunasale Beschwerden
  • Medikamente
  • Erkrankungen (z. B. Diabetes, Hyperlipidämie, Herz-Kreislauf-Erkrankung, Hormonstörungen)
  • Begleitsymptome/-krankheiten wie Schlaf- und Konzentrationsmangel, Angst, Depression

Hinweis: Zur Ermittlung des Schweregrads kann z. B. der validierte Tinnitus-Fragebogen von Goebel und Hiller verwendet werden oder die Einteilung nach Biesinger und Greimel

  • Funktionsprüfung HWS und Kiefergelenke
  • Zur Unterscheidung Schallleitungs- versus Schallempfindungsstörung: Weber- und Rinne-Test

Bei pulsatilem Tinnitus

  • Auskultation im Halsbereich und periauriculär
  • Kompression der ipsilateralen Jugularisvene (venöser Tinnitus kann durch Kompression unterdrückt werden)
  • Ev. kräftige Kompression der A. carotis (arterieller Tinnitus sistiert oder nimmt ab), immer nur einseitig
  • Ton-/Sprachaudiometrie
  • Tinnitusfrequenz-/Lautheitsbestimmung
  • Minimal masking level
  • Tympanometrie

Hinweis: Eine Überweisung zum ORL-Spezialisten ist bei Fehlen weiterer otologischer Symptome (siehe Anamnese) nicht erforderlich, ausser auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten

  • Können je nach Befundkonstellation im Einzelfall erforderlich sein
  • Bei persistierendem pulsatilen Tinnitus immer genaue Abklärung!
  • Bei einseitigem Tinnitus und deutlichen Seitendifferenzen im Hörvermögen des Patienten: MRI-Felsenbein zum Ausschluss eines Vestibularisschwannoms

Therapie

  • Für die meisten Tinnitustherapien liegt nur eine begrenzte Evidenz vor
  • Die Behandlung von Tinnitus auslösenden Krankheiten (s. u.) kann die Ohrgeräusche bei einem Teil der Patienten lindern oder beseitigen
  • Der Leidensdruck ist weniger durch die Lautstärke oder Frequenz des Tinnitus bestimmt als vielmehr durch die Begleitsymptome und Komorbiditäten (z. B. Schlafstörungen, Konzentrationsmangel, Depression)
  • Die Indikation zur symptomatischen Therapie soll vom individuellen Leidensdruck abhängig gemacht werden. Wichtigste Frage: Können Sie schlafen? Wenn Schlafprobleme auftreten, muss man handeln!
  • Bei Patienten ohne nennenswerte Einschränkungen der Lebensqualität hilft oftschon eine gute Aufklärung; Pathologisierung der Ohrgeräusche vermeiden!
  • Eingehende Beratung/Psychoedukation ist immer erforderlich! Vermeidung einer pessimistischen Haltung, Aufklärung über gutartigen Charakter des Tinnitus
  • Lärmschutz ist zur Prävention empfohlen
  • Bei chronischem (komplexem) Tinnitus interdisziplinäre Behandlung
  • Akuter Tinnitus mit akutem Hörverlust: Therapie des Hörsturzes (siehe mediX Guideline Hörsturz)
  • Hörminderung: Hörgeräte, Cochlea-Implantat
  • Schallleitungsstörung: Therapie je nach Ursache
  • M. Menière: Siehe mediX GL Schwindel
  • Palataler Myoklonus: Botulinus-Injektionen
  • Pulsatiler Tinnitus: SpezifischeTherapie der Gefässerkrankung/des Tumors
  • Akuter Tinnitus: Ohne feststellbare Ursache kann eine Spiricort®-Therapie erfolgen (z. B. 50 mg p.o. 1–0–0 für 5 d). Unbedingt Verhaltensregeln beachten: Ignorieren, Ausdauersport, Entspannungstherapie!
  • Chronischer Tinnitus: Keine medikamentöseTherapie

Häufig eingesetzte Verfahren

  • Kognitive Verhaltenstherapie: Wirksamkeit eindeutig nachgewiesen
  • Hörgeräte (bei Hörminderung): Wichtigste Therapie bei nachgewiesenem Tinnitus, insbesondere bei Presbyakusis
  • Tinnitusmasker („noiser“): Ob vollständige oder partielle Maskierung langfristig günstiger ist, ist unklar (Patientenpräferenz entscheidend). Noiser müssen ca. 8 h am Tag getragen werden, schlechte Compliance
  • Tinnitus retraining therapy (TRT): Schlechte Ergebnisse, mangelnde Compliance
  • Biofeedback und Stressreduktionsprogramme (z. B. Muskelentspannung nach Jacobson)
  • Einige Patienten können von Selbsthilfegruppen profitieren

Vollversion

Autoren: Dr. med. U. Beise, O. Stanimirow

Änderungsdatum: 07/2019

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