Hypertonie

Bedeutung und Risikofaktoren

  • Bluthochdruck (Hypertonie) ist einer der wichtigsten kardiovaskulären Risikofaktoren. Die Behandlung der Hypertonie kann das Auftreten von Folgekrankheiten wie Koronare Herzkrankheit (KHK), Schlaganfall oder Nierenschäden deutlich verringern
  • Alter: Männer > 55-jährig, Frauen > 65-jährig
  • Adipositas
  • Dyslipidämie (siehe mediX GL Hyperlipidämie)
    • Cholesterin gesamt > 6,5 mmol/L
    • HDL < 1,0 mmol/L
    • LDL > 4,0 mm/L
      Je nach kardiovaskulärem Risikoprofil ist der Grenzwert niedriger
    • Triglyzeride > 1,7 mmol/L
  • Diabetes mellitus (siehe mediX GL Diabetes mellitus)
  • Positive Familienanamnese
  • Hoher Kochsalzkonsum (> 6 g/d)
  • Tabakkonsum
  • Hoher Alkoholkonsum
  • Körperliche Inaktivität
  • Stress

Blutdruckmessung

  • Die Hypertonie-Diagnose beruht auf Blutdruckmessungen bei wiederholten Praxisbesuchen oder im Rahmen der häuslichen Blutdruckmessung oder einer Langzeitblutdruckmessung
  • Die Diagnose der Hypertonie kann bei einem einzigen Praxisbesuch gestellt werden, wenn der Blutdruck deutlich erhöht ist (z. B. Hypertonie Grad 3) und es klare Hinweise auf Hypertonie-bedingte Endorganschäden gibt (z. B. hypertensive Retinopathie mit Exsudaten und Blutungen, linksventrikuläre Hypertrophie, Gefäss- oder Nierenschäden), sollte jedoch mit einer 2. Messmethode validiert werden (Heimmessung oder 24-h-Blutdruckmessung)
  • Die häusliche Blutdruckmessung sollte mit einem halbautomatischen, validierten Blutdruck-Messgerät gemessen werden, mindestens über 3 Tage, besser noch über 6–7 aufeinanderfolgende Tage vor jedem Praxisbesuch
  • Diagnose Hypertonie: Häuslicher Blutdruck-Mittelwert ≥ 135 mmHg systolisch und/oder
    ≥ 85 mmHg diastolisch
  • Eine valide Aufzeichnung der 24-Stunden-Blutdruckmessung erfordert mindestens 70 % brauchbare Blutdruckmessungen
  • Die Grenzwerte für die Hypertonie-Diagnose sind
    • Tagsüber (oder wach): Mittelwert ≥ 135 mmHg systolisch und/oder ≥ 85 mmHg diastolisch
    • Nächtlich (oder schlafend): Mittelwert ≥ 120 mmHg systolisch und/oder ≥ 70 mmHg diastolisch
    • 24 Stunden: Mittelwert ≥ 130 mmHg systolisch und/oder ≥ 80 mmHg diastolisch
  • Es laufen derzeit verschiedene Studien zu neuen Messmethoden, insbesondere für die Messung am Handgelenk. Um eine adäquate Alternative zu den herkömmlichen Messgeräten darzustellen, müssen die neuen Messgeräte jedoch stets validiert werden
  • Aktuell gibt es neueste Daten zum Aktiia-Armband. Für Bluthochdruckpatienten ist die Methode zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht verlässlich genug und ein validiertes herkömmliches Messgerät für den Oberarm unerlässlich
  • Bestätigung der (Verdachts-)Diagnose Hypertonie
  • Zustände, bei denen die Weisskittel-Hypertonie häufiger vorkommt, z. B. Hypertonie Grad 1 bei der Praxis-Blutdruckmessung
  • Deutliche Praxis-Blutdruckerhöhung, aber ohne Hypertonie-vermittelte Endorganschäden
  • Zustände, bei denen eine „maskierte Hypertonie“ häufiger vorkommt (z. B. hochnormaler Praxis-Blutdruck)
  • Normaler Praxis-Blutdruck bei Patienten mit Hypertonie-vermittelten Endorganschäden oder hohem kardiovaskulären Gesamtrisiko
  • Lageabhängige und postprandiale Hypotonie bei unbehandelten und behandelten Patienten
  • Abklärung einer resistenten Hypertonie
  • Überprüfung der Blutdruck-Kontrolle, insbesondere bei behandelten Patienten mit hohem Risiko
  • Übermässige Blutdruckanstiege bei Belastung
  • Bei grosser Streuung der Praxisblutdruckwerte
  • Abklärung von Symptomen, die auf Hypotonie unter Behandlung deuten
  • Spezifische Indikationen für Langzeit- anstatt häuslicher Blutdruckmessung
    • Bewertung der nächtlichen Blutdruckwerte und des Dipping-Status (z. B. Verdacht auf nächtliche Hypertonie, sowie bei Schlafapnoe, CKD, Diabetes, endokriner Hypertonie oder Dysautonomie)

Screening, Anamnese, Untersuchungen, Monitoring

Empfehlungen (lt. ESC/ESH Guideline, 2023)

  • Ab 18. Lj.: Alle 3–5 Jahre
  • Laut USPFTS: Jährliche Kontrolle bei über 40-Jährigen ohne erhöhtes Risiko und bei allen Erwachsenen mit hoch-normalem Blutdruck und/oder Übergewicht. Besonders aufmerksam sollte man den Blutdruck bei post-menopausalen Frauen sowie bei Frauen nach Gestations-bedingtem Bluthochdruck, Präeklampsie etc. beobachten
  • Bei Patienten, die Risikofaktoren für eine Hypertonie aufweisen (z. B. Adipositas) oder bei denen bereits ein hochnormaler Blutdruck gemessen wurde, sollte jährlich eine Blutdruckkontrolle erfolgen (wenn dies nicht in Heimmessung geschieht)

Familie

  • Hypertonie, Diabetes, Dyslipidämie, Hirnschlag, Herz-Kreislauferkrankungen, Niereninsuffizienz

Patient

  • Blutdruck- und Gewichtsverlauf (inkl. Blutdruck in Schwangerschaft)
  • Lebensstil: Rauchen, Alkoholkonsum, körperliche Aktivität/Sport, Essgewohnheiten/Salzkonsum, berufliche und private Belastung, aufgehobener Tag-/Nacht-Rhythmus
  • Schlafapnoe, Metabolisches Syndrom
  • Kardiovaskuläre Risikofaktoren und Komplikationen
  • Nierenkrankheit
  • Antihypertensiva
  • Pressorische Substanzen: „Pille“, nicht-steroidale Entzündungshemmer (NSAR), Kortikosteroide, Cyclosporin, Sympathikomimetika, Nasentropfen, Kokain, Erythropoietin, Anabolika, (Lakritze)
  • Eingehende internistische Untersuchung, Herz-/Lungen und Gefässauskultation (Strömungsgeräusche Karotisarterie, Oberbauch/Niere), Gewicht, BMI, Inspektion und Palpation der unteren Extremitäten (Ödeme oder Stauungszeichen?), Palpation der peripheren Arterien und Beurteilung des kognitiven Status (bei hypertensiver Gefahrensituation relevant)
  • 12-Kanal-EKG

 Routine-Labortests

  • Blut: Hb, Kalium und Natrium, Serum-Kreatinin und eGFR, Nüchtern-BZ und HbA1c, Lipide, TSH
  • Urin: Urinstatus, Mikroalbuminurie
  • Ist ein Bluthochdruck diagnostiziert worden, wird nach 4 Wochen eine erste Kontrolle der Blutdruckwerte sowie je nach Medikation und Vor-Labor eine Laborkontrolle empfohlen
  • Ist das Therapieziel erreicht worden, wird bei bestehenden Komorbiditäten wie z. B. Herzinsuffizienz oder chronischer Nierenerkrankung eine Kontrolle alle 3 Monate empfohlen. Ohne bekannte Komorbiditäten ist eine jährliche Kontrolluntersuchung ausreichend
  • Labor: Je nach Vorbefund und medikamentöser Therapie
    • Elektrolyte (Natrium, Kalium)
      Insbesondere bei Therapiebeginn mit Diuretika kann es im ersten Behandlungsmonat zu ausgeprägten Hyponatriämien kommen
    • Hba1c (bei kardiovaskulären Risikofaktoren 1 x jährlich)
    • Serumkreatinin
    • Albuminurie im Spoturin bei Comordbiditäten wie Diabetes oder Niereninsuffizienz

Es liegen keine Daten zur Frequenz der Laborkontrollen vor

mediX empfiehlt

Nach Therapiebeginn mit Thiaziden oder einem ACE-Hemmer Laborkontrolle der Elektrolyte und Kreatinin nach einem Monat. Im Verlauf bei guter Verträglichkeit der Medikamente 1 x jährlich

  • Abrupter Beginn einer symptomatischen Hypertonie
  • Grad-3-Hypertonie
  • Schwer einstellbare Hypertonie
  • Fehlendes Dipping in der Nacht und in der 24-h-Blutdruckmessung
  • Keine Familienanamnese oder andere prädisponierende Faktoren
  • Auffällige Befunde im körperlichen Status
  • Verschlechterung eines bislang gut eingestellten Hypertonikers, ansteigendes Kreatinin und/oder anhaltende Mikroalbuminurie bei gut eingestelltem Hypertonus
  • Sehr junge Patienten
  • Diastolische Hypertonie > 110 mmHg (Hinweis auf Nierenarterienstenose)

Therapie

  • Ziel der Behandlung von Hypertonikern ist die langfristige Senkung des kardiovaskulären Risikos. Für eine optimale Risikoreduktion ist die Erfassung und Behandlung aller zusätzlichen beeinflussbaren Risikofaktoren notwendig
  • Patientenschulung ist eine wichtige Voraussetzung zur Erreichung der Behandlungsziele. Sie beinhaltet die Selbstmessung des Blutdrucks, Lebensstiloptimierung, Krankheitsverständnis, Adhärenz bei medikamentöser Therapie, definiertes Wiedervorstellungsintervall und Umgang mit Notfallsituationen
  • Zielwerte: Primäres Ziel ist bei allen Patienten ein Blutdruck von < 140/90 mmHg (die tiefsten gemessenen Werte, also in der Regel die Heimmessung), richtet sich aber nach Begleit- und Vorerkrankungen. Sofern die Patienten es vertragen, soll der systolische Blutdruck bei den meisten nicht von Frailty/Gebrechlichkeit betroffenen Patienten zwischen 120–129 mmHg, der diastolische Blutdruck zwischen 70–79 mmHg eingestellt werden, auch bei Diabetikern
  • Bei über 80-jährigen Patienten ist die Interventionsschwelle in der Regel bei Messungen von
    ≥ 160 mmHg (systolisch). Als Zielwert sollte ein Blutdruck von < 150/90 mmHg angestrebt werden. Der Zielwert richtet sich aber vorrangig nach der Frailty/Gebrechlichkeit und dem Orthostase-Risiko. Wenn es gut vertragen wird, kann der systolische Blutdruck auch auf
    130–139 mmHg gesenkt werden
  • Nikotinabstinenz
  • Alkoholeinschränkung
  • Ernährung: Reich an Früchten und Gemüse, Fisch, Nüsse, geringer Konsum von rotem Fleisch, Kochsalzrestriktion
  • Körperausdauertraining
  • Gewichtsreduktion

Monotherapie/Initialtherapie

Zur Monotherapie bzw. Initialtherapie sind grundsätzlich verschiedene Präparate geeignet. Entscheidend ist, dass der Blutdruck ausreichend gesenkt und Nebenwirkungen möglichst vermieden werden! 

  • ACE-Hemmer/AT-II-Antagonisten
  • Kalziumantagonisten (lang wirksame Dihydropyridine, Amlodipin)
  • Thiazid-Diuretika und Analoga
    mediX empfiehlt
    Thiazide wegen der häufigen Elektrolytstörungen nicht als erstes/einziges Präparat verordnen.
    Ausnahme: Patienten mit beispielsweise Herz- oder Niereninsuffizienz und Ödemneigung sowie bei dunkelhäutigen Patienten
    • Hydrochlorothiazid (HCT) (Esidrex®) (Warnhinweis siehe Vollversion der Guideline)
    • Indapamid (z. B. Fludapamid®, Fludex®, Indapamid-Mepha®)
    • Thiazide + kaliumsparende Diuretika: Amilorid + Hydrochlorothiazid (z. B. Comilorid-Mepha®/-mite Tabl., Ecodurex®, Moduretic®/-mite)
  • Betabocker (Bisoprolol, Carvedilol, Metoprolol und Nebivolol)
    Hinweis: Betablocker sollten v. a. bei älteren Patienten > 65 Jahre nicht als First-line-Therapie eingesetzt werden – ausser wenn eine spezifische Indikation vorliegt

Zweifach-Kombinationstherapie

  • Grundsätzlich können alle Substanzklassen kombiniert werden (Ausnahme: A-II-Antagonist nicht mit ACE-Hemmer!)

Dreifach-Kombinationstherapie

  • Wenn der Blutdruck sich mit einer Zweifachkombination nicht regulieren lässt, wird empfohlen, auf eine Dreifachkombination zu erhöhen, ohne zwingend die Zweifachkombination auszudosieren
  • Zur Notfalltherapie der Hypertonie bei Stroke –> siehe mediX Notfälle in der Praxis: Schlaganfall
  • Gemäss ESH Guideline von 2023 kann eine antihypertensive Neubehandlung auch bei Hochbetagten erwogen oder eine bestehende erfolgreiche Therapie fortgesetzt werden, sofern keine Frailty/Gebrechlichkeit besteht
  • Bei älteren Patienten sollte die Wahl des Antihypertensivums unter Berücksichtigung der meist vorhandenen Begleiterkrankungen geschehen
  • Vor Therapiebeginn sollte der Blutdruck immer liegend und stehend gemessen werden! Initial als Kurz-Schellongtest
  • Eine bestehende erfolgreiche Therapie sollte fortgesetzt werden
  • Polypharmazie beachten: Der Patient sollte insgesamt nicht mehr als 5 Medikamente erhalten
  • Nebenwirkungen beachten: Tiefere Dosierung einsetzen (renale und hepatische Clearance ist immer eingeschränkt)

Vollversion

Autoren: Dr. med. U. Beise, Med. pract. R. Krämer

Änderungsdatum: 07/2024

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