Synkope

Einteilung

1. Reflexsynkope

  • Vasovagale Synkope
    • Häufigste Ursache bei jüngeren Patienten
    • Auch vermehrt bei psychiatrischen Krankheiten wie Panikattacken, schweren ängstlich-depressiven Störungen
    • Trigger: Schmerzhafte oder angstmachende Stimuli, langes Stehen, Hitzeexposition
  • Situativ
    • Z. B. Bei Husten, Niesen, Lachen, Defäkation, Miktion
  • Karotissinussyndrom

2. Orthostatische Hypotonie

Medikamentös: Vor allem Diuretika, ACE-Hemmer, Kalziumantagonisten und Betablocker

  • Hypovolämie: Z. B. Blutung, Diarrhö, Erbrechen
  • Neurogen: Z. B. M. Parkinson, Lewy-Body-Demenz, Diabetes, Amyloidose, Neuropathie

3. Kardiogene Synkopen

  • Rhythmusstörungen (häufigste Ursache für kardiogene Synkopen)
    • Bradykardie: Sick-Sinus-Syndrom, AV-Blockierung
    • Tachykardie: Tachyarrhythmia absoluta, AV-Knoten-Reentry-Tachykardie, Präexzitationssyndrom (z. B. WPW-Syndrom), Kammertachykardie, Torsades de pointes-Tachykardie
    • Implantat-Dysfunktion (Schrittmacher, ICD)
  • Strukturelle Herzerkrankungen
    • Aortenstenose, akuter Myokardinfarkt/Ischämie, hypertrophe Kardiomyopathie, kardiale Tumoren, Vorhofmyxom, Perikarderkrankung/Tamponade, Koronaranomalie, Klappenprothesen-Dysfunktion

4. Synkope unklarer Ursache

Diagnostik

Die vollständige Basisdiagnostik umfasst

  • Anamnese
  • Körperliche Untersuchung neurologische Untersuchung
  • 12-Kanal-EKG
  • Schellong-Test

1. Anamnese

Eine gründliche Anamnese reicht häufig aus für eine Diagnose oder Verdachtsdiagnose mit hoher Wahrscheinlichkeit


2. Körperliche Untersuchung

  • BD-Messung im Sitzen, Puls
  • Sturzverletzungen?
  • Herz-/Lungenbefund, insbesondere Insuffizienzzeichen, Hinweise auf Herzvitium
  • Strömungsgeräusche über Karotiden?
  • Neurologische fokale Defizite?
  • Hinweise auf Exsikkose, Anämie?
  • Periphere Neuropathie?


3. Ruhe-EKG (12-Kanal)

Hochrisiko-Kriterien im EKG

  • EKG-Veränderungen nach Synkope vereinbar mit akuter Ischämie
  • Bradykardes Vorhofflimmern < 40/min
  • Anhaltende Sinusbradykardie < 40/min oder wiederholter sinuatrialer Block oder Sinusarrest > 3 sec im Wachzustand bei untrainiertem Patienten
  • AV-Block II°, Typ Mobitz 2 oder AV-Block III°
  • Schenkelblock, intraventrikuläre Leitungsstörung, ventrikuläre Hypertrophie oder Q-Zacken vereinbar mit ischämischer Herzkrankheit oder Kardiomyopathie
  • Anhaltende und nicht-anhaltende Kammertachykardie
  • QTc > 460 ms in wiederholten EKGs hinweisend auf LQTS (bei QTc > 500 ms besteht ein
    1,7-faches, bei > 550 ms ein 2,1-faches Risiko für potenziell letale Torsade-de-pointes-Tachykardien
  • ST-Streckenhebung mit Typ-1-Morphologie in den Abl. V1–V3 (Brugada-Muster)
  • Schrittmacher- oder ICD-Fehlfunktion

Minor-Kriterien im EKG

Werden nur dann als Hochrisiko gewertet, wenn Anamnese mit rhythmogener Synkope vereinbar ist

  • AV-Block II°, Typ Mobitz 1 (= Wenckebach) plus langer AV-Block I°
  • Asymptomatische inadäquate „milde“ Sinusbradykardie oder bradykardes Vorhofflimmern (40–50/min)
  • Paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie oder paroxysmales Vorhofflimmern
  • QRS-Komplex mit Präexzitation (Delta-Wellen, verkürzte PQ-Zeit < 120 ms)
  • Verkürztes QTc-Intervall ≤ 340 ms
  • Atypische Brugada-Muster
  • Negative T-Wellen rechtspräkordial, Epsilon-Wellen hinweisend auf ARVC (arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie)


4. Schellong-Test

  • Soll früh im Abklärungsgang unklarer Sturz/Synkope erfolgen
  • Gilt als diagnostisch, wenn ein pathologisches Kreislaufverhalten und entsprechende Symptome vorhanden sind

–> Siehe auch mediX Kurz-Schellong-Test in der Praxis



Red flags

Anamnestisch

  • Neu aufgetretene Dyspnoe
  • Brust-, Abdominal-, Kopfschmerz
  • Synkope während Anstrengung oder im Liegen
  • Plötzliche Palpitation mit nachfolgender Synkope
  • Vorgeschichte mit schwerer struktureller oder koronarer Herzerkrankung (Herzinsuffizienz, niedrige LVEF oder früherer Myokardinfarkt)

Untersuchungsbefunde

  • Ungeklärte schwere Hypotonie mit BD < 90 mmHg systolisch
  • Verdacht auf gastrointestinale Blutung
  • Bisher unbekanntes oder ungeklärtes systolisches Herzgeräusch

EKG-Risikokriterien

 –> s. o.

 

Von den Synkopen müssen differentialdiagnostisch abgegrenzt werden

Nicht synkopale Bewusstseinsverluste

  • Epileptischer Anfall
  • Hypoglykämie
  • Intoxikationen

Ereignisse ohne echten Bewusstseinsverlust

Eine weiterführende Abklärung ist indiziert bei

  • PatientInnen mit Red Flags (siehe oben)
  • Patientinnen mit unklarer Synkope und EKG-Hochrisikomarkern benötigen eine intensivierte Überwachung im Spital (inkl. Telemetrie 6–24 h)
  • PatientInnen mit rezidivierenden, ätiologisch unklaren Synkopen (meistens ambulant abklärbar)
  • PatientInnen mit Synkopen mit Verletzungsfolge (ambulant oder Spital, je nach Schwere der Verletzung)

Therapie

  • Aufklärung über Ursache und günstige Prognose (keine Herzkrankheit!)
  • Erlernen von Lifestylemodifikationen und Vermeidung von Triggerfaktoren/Medikamenten
    • Auslösesituationen meiden, z. B. langes Stehen und Aufenthalt in engen Räumen
    • Rasches Absitzen/-liegen bei Auftreten von Prodromi
    • Ausreichende Trinkmengen (2–2,5 Liter Wasser täglich) und Kochsalzzufuhr
    • Tragen einer Kompressionsstrumpfhose idealerweise Klasse II bei häufigen Rezidiven
    • Ermunterung zu sportlichen Aktivitäten (moderates Ausdauertraining)
    • Erlernen isometrischer Gegendruckmanöver bei sich anbahnender Synkope (Hocken oder Kreuzen der Beine oder Anspannung der Bein-, Gesäss-, Bauch- und Armmuskeln)
    • Yoga (bei rezidivierender vasovagaler Reflexsynkope)
  • Medikamente haben nur einen geringen Stellenwert
    • Midodrin
      • Bei Orthostatischer Hypotonie: Midodrin (Gutron®) 3 x tgl. 5–10 mg, NW: Liegendhypertonus, Harnverhaltung, Parästhesien. Hinweis: Etilefrin (Effortil®) wird nicht empfohlen
      • Bei Vasovagaler Synkope: Unklarer Nutzen, keine Therapieempfehlung
    • Fludrocortison
      • Bei Orthostatischer Hypotonie: Fludrocortison (Florinef®): 0,1–0,2 mg/d, NW: Ödeme, Herzinsuffizienz, Hypokaliämie, bei Langzeiteinnahme Osteoporose u. a.
      • Bei Vasovagaler Synkope: Allenfalls moderate Effekte, kann in Einzelfällen bei jungen ansonsten gesunden Patienten mit tiefem syst. BD erwogen werden
  • Herzschrittmacher
    • Nach Reflexsynkope/n, bei ausgewählten > 40-Jährigen zur Verringerung von Rezidiven, wenn eine Kardioinhibition als dominanter Faktor nachgewiesen ist
    • Bei spontaner/n dokumentierter/n Asystolie/n > 3 sec oder asymptomatischer/n Pause/n
      > 6 sec durch Sinusarrest und/oder AV-Blockierungen
    • Bei kardioinhibitorischem Karotissinus-Syndrom und häufig rezidivierenden, unvorhersehbaren Synkopen

Therapie der zugrunde liegenden Herzerkrankung. Wichtig ist der Ausschluss einer medikamentös bedingten Rhythmusstörung

  • Bei primär elektrischer Kardiopathie: Evaluation auf QT-Zeit-modifizierende Medikamente und Abklärung hinsichtlich Indikation für einen ICD –> KardiologIn
  • Tachykarde Herzrhythmusstörungen
    • Katheterablation ist die Therapie erster Wahl bei Synkopen aufgrund einer supraventrikulären oder ventrikulären Tachykardie (VT) bei strukturell unauffälligem Herzen
    • Indikation zur ICD-Implantation ­–> KardiologIn

Vollversion

Autoren: Dr. med. U. Beise

Änderungsdatum: 04/2023

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