Kopfschmerz

Diagnostik

Anamnese

  • Dynamik der Kopfschmerzen (Beginn, Häufigkeit aktuell, Häufigkeit früher), detaillierter Beginn der aktuellen Kopfschmerzen –> Kopfschmerz-Tagebuch
  • Art, Ort, zeitlicher Ablauf, Intensität und auslösende Faktoren der Kopfschmerzen, Frage nach Begleitsymptomen (migränöse Symptome, Aura, kranioautonome Symptome, Trigger) und Medikamenteneinnahme

Untersuchung

  • Blutdruck/Puls, Gefäss-Geräusche, Untersuchung der HWS/Schulterregion, neurologische Untersuchung
  • Bei primärem Kopfschmerz nicht notwendig
  • Zur Differenzierung primäre versus sekundäre Kopfschmerzen auf red flags achten!

Indikation zur weiteren Diagnostik (insbesondere Bildgebung, aber auch Labor oder LP) besteht bei folgenden red flags (s. a. SNNOOP10-Liste)

  • Neu aufgetretene starke oder anhaltende Kopfschmerzen, insbesondere bei Patienten > 50 J.
  • Plötzlicher Kopfschmerzbeginn in < 1 Minute (Donnerschlagkopfschmerz, auch beim Sex)
  • Kopfschmerzen deutlich verändert in Intensität, Frequenz, Beschwerdeverlauf; noch nie erlebte Intensität
  • Augenschmerzen mit autonomer Symptomatik
  • Progressive Verschlechterung trotz adäquater Therapie
  • Kopfschmerzen begleitet von: Psychischen Veränderungen, Hirndruckzeichen (neues Auftreten am frühen Morgen, Verstärkung beim Husten, Niesen, Schnäuzen), Liquorunterdruck (Lageabhängigkeit), fokale neurologische Ausfälle (inkl. Meningismus, Papillenödem), epileptische Anfälle, Bewusstseinsstörungen, Galaktorrhoe (Hypophyse), systemische Symptome (hohes Fieber, Abgeschlagenheit, schlechter Allgemeinzustand)
  • St. n. (Bagatell)-Schädeltrauma
  • Begleiterkrankungen (Onkologisch, HIV, Schwangerschaft, Wochenbett)
  • Medikamentenübergebrauch, neues Medikament zu Beginn (z. B. Pille, NO-Donoren etc.)
    Hinweis: Bei den fett gedruckten Symptomen handelt es sich um Notfälle. Bei den übrigen ist primär eine Bildgebung indiziert

MRI oder CT?

  • Bildgebende Verfahren (MRI oder kraniales CT) bei normalen neurologischen Befunden nur selten mit pathologischen Befunden
  • MRI ist i. d. R. zu bevorzugen. CT, falls MRI nicht verfügbar
  • Bei Kindern ist das MRI 1. Wahl, allenfalls unter Sedation/Narkose

Akuter Spannungskopfschmerz (TTH)

  • Schmerzcharakteristika: Dumpf, drückend, nicht pulsierend, Intensität leicht bis mässig, nicht verstärkt durch normale körperliche Anstrengung
  • Lokalisation: Beidseitig, band-, ringförmig
  • Dauer: Entwicklung im Verlaufe des Tages, Dauer oft über Tage; chronischer TTH: Kopfschmerzen an mehr als 15 d im Monat über mehr als 3 Monate
  • Vegetative Begleitsymptome: Keine (Ausnahme: Photo- oder Phonophobie, nicht beides zusammen)

Allgemeinmassnahmen/Prophylaxe

  • Entspannungsverfahren (z. B. mindfulness meditation), leichtes körperliches Ausdauertraining, aktivierende physikalische Therapie, ev. Akupunktur bei häufigem oder chronischem TTH
  • Kopfschmerztagebuch

Medikamente

  • Akuttherapie: Analgetika (Paracetamol, NSAR) ganz vermeiden oder wenn, dann nur kurzzeitig (max. 10 d/Monat). Auf ausreichend hohe Dosierung achten!
  • Komplementärmedizin: 10-%iges Pfefferminzöl lokal auf Stirn und Schläfen
  • Prophylaxe: Bei chronischem TTH trizyklische Antidepressiva (Amitriptylin, Mirtazapin), SNRI (Venlafaxin), zentral wirkendes Muskelrelaxans (Tizanidin), Magnesium analog zur Migräne-Prophylaxe

Migräne

  • Episodischer Kopfschmerz: Anfallsartig in unterschiedlicher Intensität (mässig bis stark) und Häufigkeit, in ca. 70 % einseitig; von pulsierender Qualität, Verstärkung durch körperliche Anstrengung. Dauer: Unbehandelt 4–72 h
    Merke: Dauer-KS > 72 h ist normalerweise keine Migräne (Ausnahme: Status migraenosus)
  • Prodromalstadium: Stimmungsschwankungen, Appetitstörungen, Flüssigkeitsretention Stunden bis Tage vor dem Migräneanfall
  • Typische Begleitsymptome (bei 60–80 %) sind Reizüberempfindlichkeiten (Lärm-, Licht-, Geruchsüberempfindlichkeit) und Appetitmangel, Übelkeit, Erbrechen
  • Aura (bei ca. 20 %): Fokale Reiz- und Ausfallsymptome: Flimmerskotom, Parästhesien, sensibles oder sensomotorisches Hemisyndrom, Aphasie; maximale Dauer: 1 h
    DD zur TIA: Während der Migräneaura breiten sich die Symptome aus bzw. wandern, z. B. von Fingern zum Unterarm, auf den Mundwinkel springend, dann Ausbreitung auf Gesicht und Oberarm
  • Ablauf: Aura –> 15–60 min später Kopfschmerz –> vegetative Begleitsymptome (häufige Reihenfolge, aber nicht obligat)
  • Trigger: Stress, Schlafunregelmässigkeiten, Wetterumschwung, Nahrungsmittel (z. B. Nüsse, Käse, Wein, Schokolade), Menstruation etc.

Grundregeln

  • Akut-Medikamente nicht länger als 2–3 d/Woche (Cave: Chronifizierung!)
  • Bei schweren Attacken/bei erheblicher Auswirkung auf die Lebensqualität und Alltagsaktivität schon initial Einsatz von Triptanen
  • Auswahl des Medikamentes nach Häufigkeit und Schweregrad der Kopfschmerzen, nach Muster der Begleitsymptome, nach Komorbiditäten, nach individuellem Ansprechprofil sowie nach bisherigen Therapieerfahrungen
  • Akuttherapeutika möglichst früh bei aufkommenden Kopfschmerzen verabreichen
  • Besser eine hohe Einmaldosis als wiederholt kleine Dosierungen!
  • Bei Migräne mit Nausea und Erbrechen eher keine orale Therapieform – oder vorgängig ein Antiemetikum verabreichen
  • Triptane maximal 10 d/Monat (NSAR bis maximal 15 d/Monat)!

Allgemeine Massnahmen

  • Ruhe, abgedunkelter Raum, Schlaf, Eisbeutel

Medikamente

  • Peripher wirkende Analgetika (bei Attacken mit geringerer Intensität/Behinderung)
    • Paracetamol 1’000 mg (Brausetabletten)
    • Ibuprofen 600–1’200 mg (ev. Supp.) oder andere NSAR (z. B. Naproxen 500 mg)
    • Notfallmedikamente parenteral: ASS 1’000 mg i.v., Metamizol 1’000 mg langsam i.v. (Cave: Hypotonie!)
    • Komplementärmedizin: Hagebutten-Pulver (10 g/d), Weidenrinden-Extrakt (z. B. Assalix®
      2 x 120 mg/d)
  • Antiemetika (Gastroparese, Nausea)
    • Antiemetikum als Vorausmedikation zur Verbesserung der Resorption der verabreichten Medikamente; nicht als Monotherapie!
      • Metoclopramid (Paspertin®) 10–20 mg p.o., Supp., i.v., i.m.
      • Domperidom (Motilium®) 10–20 mg p.o., Supp.
  • Triptane (3, 19, 21–22)
    • Indikation: Bei mittlerer und hoher Schmerzintensität und starker Behinderung im Alltag
    • Anwendung: Frühzeitig bei Beginn der Migräneattacke und ausreichend hoch dosiert einsetzen. Falls nach 2 h keine Wirkung eingetreten ist, Triptan ein zweites Mal verabreichen. Bei Wiederauftreten der Migräne (Recurrence) ev. initiale Kombination aus Triptan und retardiertem NSAR (z. B. Naproxen). Beachte: Keine Triptane in der Auraphase!
    • Nebenwirkungen: Parästhesien, ungewöhnliche Empfindungen wie Kälte, Wärme, Brennen, Schmerzen, Schweregefühl im Thorax- und Halsbereich, Schwindel, Müdigkeit, BD-Erhöhung
    • Absolute Kontraindikation: Therapie mit MAO-Hemmer
  • Im Vorschul- oder frühen Schulalter ist das „Ausschlafen“ einer kurzen Migräneattacke oft wirksam
  • Bei älteren Kindern und Adoleszenten bei länger dauernden und/oder schweren Attacken häufig Akutmedikamente nötig, möglichst frühzeitig im Verlauf des Anfalls

Medikamente

  • Paracetamol oder NSAR (1. Wahl), bevorzugt ab 12. J.
    • Paracetamol (Supp.) 15 mg/kgKG max. alle 4 h
    • Ibuprofen (Sirup) 10 mg/kgKG max. alle 6 h
    • Naproxen 5 mg/kgKG max. alle 6 h
    • Mefenaminsäure 5 (–10) mg/kgKG max. alle 8 h
    • Acetylsalicylsäure 10 mg/kgKG max. alle 4 h, erst ab 12 J. (Cave: Reye-Syndrom)
  • Triptane (erst ab ca. 12. J.)
    • Sumatriptan Nasalspray 5 mg (< 20 kgKG), max. 2 Applikationen pro Anfall, > 50 kgKG Erwachsenendosis

Indikation

  • > 3 Anfälle im Monat
  • Sehr schwere oder lang andauernde Anfälle
  • Protrahierte oder gehäufte Auren
  • Unverträglichkeit von Akuttherapeutika
  • Bei Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerz

Allgemeinmassnahmen

  • Trigger vermeiden, ausgeglichene, regelmässige Lebensführung, regelmässiger Schlaf, regelmässige körperliche Bewegung
  • Relaxation (PMR), thermales, vaskuläres und muskuläres Biofeedback sowie kognitive Verhaltenstherapie
  • Die Massnahmen können mit Pharmakotherapie kombiniert werden

Medikamente

1. Wahl

  • Betablocker (2 x tgl.): Z. B. Propranolol (40–160 mg) oder Metoprolol (50–200 mg), 6–12 Monate oder länger. Betablocker reduzieren die Frequenz und Intensität. Dosis auftitrieren!
  • Kalziumantagonist: Wenn Betablocker versagen oder kontraindiziert sind; gemäss Studien relativ schwache Evidenz. Die besten Daten liegen für Flunarizin (5–10 mg zur Nacht) vor
  • Antiepileptika
    • Topiramat 25–200 mg (Cave: kognitive Nebenwirkungen)
    • Valproat 500–1‘500 mg. Vor Therapiebeginn Screening Leberwerte. Kein Valproat bei Frauen im gebärfähigen Alter
    • Lamotrigin (speziell bei Migräne mit Aura) 25–300 mg

Bei allen drei Substanzen Interaktionen mit hormonalen Kontrazeptiva beachten!

2. Wahl

  • Antidepressiva: Bevorzugt Substanzen mit dualem Wirkmechanismus (SNRI oder SARI). SSRI eher nicht einsetzen. Bei Patienten mit begleitender depressiver Symptomatik Therapie der 1. Wahl

Anwendung

  • Geringe Anfangsdosis (Cave: Sedation, teilweise anticholinerg), dann langsame Dosissteigerung
  • Sedierende AD (Amitriptylin,Trimipramin, Doxepin) bei Schlafstörungen: Abends verabreichen
  • Antriebssteigernde AD (Clomipramin, Nortriptylin, Venlafaxin, Duloxetin) bei Antriebsstörung und Müdigkeit: Morgens/mittags verabreichen
    Medikamente
    • Amitriptylin, Imipramin, Nortriptylin 10–200 mg
    • Clomipramin, Doxepin, Trimipramin 10–150 mg
    • Venlafaxin 75–225 mg
    • Duloxetin 30–60 mg
    • Mirtazapin 30–45 mg
  • Candesartan (16 mg): Option, wenn andere Medikamente nicht wirksam oder unverträglich sind
  • Botulinumtoxin Typ A 155–195 E alle 3 Monate (Reservemedikament –> Indikation vom Neurologen)
  • Monoklonale Antikörper: Erenumab (Aimovig®), Galcanezumab (Emgality®), Fremanezumab (Ajovy®), Eptinezumab (Vyepti®). Zugelassen für Erwachsene mit mindestens 8 Migränetagen pro Monat über mindestens 3 Monate unter strengen Voraussetzungen. Verschreibung erst nach Kostengutsprache und nur durch Neurologen möglich

Dauer der medikamentösen Langzeitprophylaxe

  • Prophylaxe sollte innert 8 Wochen ansprechen. Anschliessend weiter für ca. 6 Monate, dann Ausschleichversuch

Cluster-Kopfschmerz

  • Anfallsartiger, heftiger, einseitiger KS, Punctum maximum retroorbital; Horner-Syndrom, Lakrimation, Rhinorrhö, können nicht ruhig liegen, häufig nachts
  • Dauer: 15 min–3 h, bis 8 x tgl., über Wochen bis Monate, dann meist symptomfreie Intervalle über Monate bis Jahre
  • Sumatriptan 6 mg (s.c. bis 3 x pro 24 h), 20 mg (Nasalspray bis 3 x pro 24 h) oder Zolmitriptan nasal 5–10 mg
  • Lidocain (4–6 %) intranasal: Repetitive Verabreichung, falls Kopfschmerzen nach 5 min persistierend. Anwendung: Kopf auf die Seite, schmerzhafte Seite nach oben. Dann werden 0,5 ml 4 % Lidocain langsam über 30 sec in die Nase getröpfelt
  • Inhalation von 100 % O2 10–12 l/min über 15 min aus einer Sauerstoffflasche via Mund-Nasen-Maske und Reservoir

Beachte: Immer Neurologen hinzuziehen!

  • Eine Prophylaxe ist aufgrund der häufigen Attacken praktisch immer gleichzeitig angezeigt
  • Prophylaxe erst ausschleichen, wenn Patient mindestens 4 Wochen anfallsfrei ist!

Mittel der 1. Wahl

  • Beginn mit Kurzzeitprophylaxe mit Prednison, um Zeit bis zum Einsetzen der Wirkung von Calciumantagonisten (oder Lithium) zu überbrücken. Dosierung: 100/75/50/25 mg/d jeweils für 5 d, morgens
  • Kalziumantagonisten, z. B. Verapamil ret. 1–2 x 120 mg/d, dann alle 4–7 Tage bei Bedarf um 120 mg/d steigern. Maximale Dosis 480 mg. Vor und während der Therapie EKG-Kontrollen (Herzrhythmusstörungen)

Mittel der 2. Wahl

  • Lithium: 600–1‘800 mg, nach Serumspiegel (0,6–0,8 mmol/l) – (nach Rücksprache mit Neurologen); am ehesten bei chronischem Cluster-Kopfscherz
  • Topiramat 200 mg/d, Valproat 1‘000–2‘000 mg/d
  • Okzipitale Nervenblockade (ipsilateral)

Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerz (MÜKS)

  • MÜKS verursachende Substanzen sind v. a. Triptane und Analgetika, seltener Ergotamine
  • Kopfschmerzmedikation > 15 d oder Triptane > 10 d im Monat, mehr als 10 h Kopfschmerz/Tag
  • Begleitsymptome (oft): Asthenie, Nausea, Ruhelosigkeit, Reizbarkeit, Konzentrations-, Gedächtnisstörungen, Schlafstörungen

Beachte: Eine episodische Migräne kann auch ohne Medikamentenübergebrauch in eine chronische Migräne übergehen!

  • Patientenedukation! Engmaschige Betreuung, psychotherapeutische Begleitung (Verhaltenstherapie)
  • Einleitung einer medikamentösen Prophylaxe für die Dauer von mindestens 6 Monaten

Hinweis: Abruptes Absetzen der Schmerzmedikamente ist oftmals nicht zwingend notwendig

  • Bei erfolgloser Basistherapie und Edukation –> Absetzen der Akutmedikamente. Entzugskopfschmerz kurzzeitig mit einer anderen Substanzklasse behandeln (z. B. NSAR statt Triptane); gegen Übelkeit und Erbrechen Domperidon oder Metoclopramid
  • Steroide ev. kurzfristig zur Durchbrechung des Entzugskopfschmerzes
  • Der Entzug muss meist stationär (5–7 d) erfolgen

Vollversion

Autoren: Dr. med. U. Beise

Änderungsdatum: 01/2023

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