Müdigkeit

Diagnostik

Psychologisch/psychiatrisch            (60–80 % der Fälle mit chronischer Müdigkeit)

Depression, Erschöpfungsdepression, Angststörung, Somatisierungsstörung, Drogenabhängigkeit, psychosozialer Stress, Demenz
(s. a. GLs DepressionAngststörungenDemenz, FS Körper-Stress-Syndrom)

Idiopathisch,
Dauer > 6 Monate
(10–30 % der Fälle mit chronischer Müdigkeit)

Idiopathische Chronic Fatigue, Chronic Fatigue Syndrome, Fibromyalgie

Schlafstörung

Schlafmangel, unerholsamer Schlaf, Einschlaf- oder Durchschlafstörung, Schlafapnoe
(s. a. GL Schlafstörungen)
Sekundäre Ursachen: Gastroösophagealer Reflux, allergische Rhinitis mit post nasal drip
(s. a. GL GERD)

Medikamentös

Hypnotika, Sedativa, Opiate, Antihypertensiva, Antidepressiva, Drogenabhängigkeit und Drogenentzug, Muskelrelaxantien, Betablocker, Antihistaminika

Endokrin-metabolisch

Hypo- oder Hyperthyreose, Diabetes mellitus, Hypophyseninsuffizienz, Hypokaliämie, Hypercalcämie, Nebenniere (M. Addison), chronische Niereninsuffizienz, Hepatopathie

Neoplastisch-hämatologisch

Okkultes Malignom,  Eisenmangel-(Anämie)

Infektion

Endocarditis, Tuberkulose, Mononukleose, Hepatitis, Parasiten, HIV-Infektion, Zytomegalie, HWI bei älteren Patienten, Long Covid
(s. a. GLs Hepatitis, HIV/AIDS, HWI, FS Long Covid)

Kardiopulmonal

Arterielle Hypotonie, Herzinsuffizienz, chronische Lungenerkrankung

Bindegewebe

Rheumatoide Erkrankungen

Neuromuskulär

Myopathie, Multiple Sklerose

Schwangerschaft

Eine noch nicht diagnostizierte Schwangerschaft kann in den ersten Wochen zu ausgeprägter Müdigkeit führen

Verlauf und Symptomatik

  • Beginn: Abrupt, allmählich
  • Verlauf: Stabil, sich verschlechternd, sich verbessernd
  • Dauer und Tagesverlauf
  • Post exertional malaise (PEM)?

Umfeld

  • Patient fragen, woher seiner Meinung nach die Müdigkeit kommen könnte
  • Faktoren, die die Müdigkeit verbessern oder verschlimmern
  • Psychosoziale Belastungen
  • Getroffene Anpassungen im täglichen Leben

Weitere Symptome/Mögliche Ursachen

  • Gewichtsverlust, Nachtschweiss
  • Screening Depression, Angst, Demenz (im höheren Lebensalter)
    –> siehe GLs Depression, Angststörungen, Demenz
  • Frage nach Arbeitsumfeld (Umgang mit toxischen Substanzen)
  • Fragen nach Schlafstörungen
  • Einschlaf-, Durchschlafproblem, frühes Erwachen, nicht erholsamer Schlaf, Tagesbeeinträchtigung
  • Schlafhygiene, unregelmässiger Schlaf-Wach-Rhythmus, Lebensumstände
  • Ausschluss obstruktives Schlafapnoe-Syndroms: Schnarchen Sie? Sagt Ihr Bettpartner, dass Sie aufhören zu atmen? (Nur abklären, wenn es tagsüber zum Einschlafen kommt)
  • Ausschluss Restless-legs-Syndroms: Zucken Ihre Beine und können Sie sie nicht stillhalten?
  • Frage nach Substanzeinnahme (Medikamente, Drogen/Noxen, psychotrope Substanzen)
  • Je nach anamnestischen Hinweisen werden die entsprechenden Organsysteme untersucht
  • Ohne entsprechende Hinweise vollständiger klinischer Status, insbesondere
  • Allgemeinzustand
  • Hautinspektion
  • Lymphknoten (s. a. FS Lymphadenopathie)
  • Schilddrüse (s. a. GL Schilddrüsenerkrankungen)
  • Herz-Lungenauskultation; Zeichen der Herzinsuffizienz, chronische Lungenerkrankung?
    (s. a. GLs Herzinsuffizienz, COPD)
  • Orientierende neurologische Untersuchung
  • Blutdruck im Liegen und Stehen, bei orthostatischer Intoleranz Kurz-Schellong-Test
    (s. a. GL Synkope).
  • Bei Verdacht auf CFS auch Beurteilung der kognitiven Funktionen

First-line-Abklärungen

  • Hämatogramm, CRP, BSR, Glukose/Hba1c, GPT, TSH, Ferritin, Kreatinin und Elektrolyte (Na, K, Ca)

Second-line-Abklärungen

Weitergehende Laboruntersuchungen nur bei auffälligen Vorbefunden oder spezifischen Hinweisen in der Basisdiagnostik. Dann können z. B. folgende Untersuchungen infrage kommen

  • Weitere Leberfunktionswerte (GOT, γ-GT, alkalische Phosphatase)
  • Hepatitis B (Anti-HBc IgG/IgM, HBsAG und Anti-HBs) und C (Anti-HCV-AK) bei den Jahrgängen 1950 bis 1985 und bei Migrationshintergrund – auch bei normalen Transaminasen! (s. a. GLs Check-up, Hepatitis)
  • HIV-Test (s. a. GL HIV/Aids)
  • Tuberkuloseabklärung (s. a. GL Migrationsmedizin)
  • Routinemässige Bestimmung von Antikörpern nur gezielt bei entsprechenden Hinweisen auf eine immunologische/rheumatologische Erkrankung
  • Zöliakie: IgA-Transglutaminase-AK mit gesamt-IgA (s. a. GL Nahrungsmittelunverträglichkeit)
  • Kreatininkinase (bei Muskelschmerzen oder Muskelschwäche)
  • Vitamin B12/Folsäure im Erythrozyten (s. a. GL Vitamin B12-Mangel)

Bildgebung symptomorientiert oder auf häufige Karzinome je nach Alter und Geschlecht
(s. a. GL Check-up)

Nicht indiziert

  • Vitamin D-Bestimmung, Borreliose-Serologie

Chronische Müdigkeit

  • Chronische Müdigkeit dauert definitionsgemäss länger als 6 Monate
  • Bei < 10 % dieser Patienten liegt ein Chronic Fatigue Syndrome (CFS) vor

Kriterien CFS

  • Eine erhebliche Reduzierung oder Beeinträchtigung der Fähigkeiten, sich auf dem Niveau in beruflichen, schulischen, sozialen und persönlichen Bereichen so zu betätigen wie vor der Erkrankung, begleitet von neu aufgetretener, schwerwiegender Erschöpfung, die nicht Folge starker Anstrengungen ist und sich durch Ausruhen nicht wesentlich bessert
  • Zustandsverschlechterung nach Belastung
  • Nicht erholsamer Schlaf

Zusätzlich muss mindestens eines der beiden folgenden Symptome vorliegen 

  • Kognitive Beeinträchtigung
  • Orthostatische Intoleranz

Sind die Kriterien eines CFS nicht erfüllt, so spricht man von einer Idiopathischen Chronic Fatigue

  • Behandlung der spezifischen Ursache für die chronische Müdigkeit
  • Bei Chronic Fatigue Syndrome oder Idiopathischer Chronic Fatigue
    • Kognitive Verhaltenstherapie und individuell angepasste Betätigung („Pacing“) (jedoch keine körperlichen Aktivierungen auf Basis eines starren Dekonditionierungskonzeptes)
    • Schlafhygiene, Selbsthilfegruppen, Eisensubstitution bei Ferritin < 15 µg/l

Vollversion

Autoren: Dr. med. U. Beise

Änderungsdatum: 09/2024

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